Gemeinsame Stellungnahme gegen den Bebauungsplan 02/11 „Südlicher Dorfkern Schönefeld“

Gemeinsame Stellungnahme gegen den Bebauungsplan 02/11 „Südlicher Dorfkern Schönefeld“ und das damit verbundene Behördenzentrum zur Inhaftierung von geflüchteten Menschen und zur Durchführung von Flughafenasyl- bzw. Grenzverfahren

Die Unterzeichnenden lehnen den Bebauungsplan 02/11 „Südlicher Dorfkern Schönefeld“ aus menschenrechtlichen und humanitären Gründen ab, da dieser den Bau des sogenannten „Ein- und Ausreisezentrums“ am Flughafen BER und somit einen Ausbau von Haftplätzen und die Ausweitung von Flughafen- bzw. Grenzverfahren unter Haftbedingungen ermöglicht. Sehr kritisch stehen die Unterzeichnenden den vergaberechtlichen Ungereimtheiten und den hohen Kosten des Projektes gegenüber, von welchen ein wegen Bestechungszahlungen vorbestrafter Investor profitiert. Sie fordern die Gemeindevertreter:innen Schönefeld auf, dem Satzungsbeschluss nicht zuzustimmen. Bei Ablehnung des Satzungsbeschlusses kann keine Baugenehmigung erteilt werden. 

Begründung

1) Drastischer Ausbau von Gewahrsamsplätzen 

Beschönigt bezeichnet als „Behördenzentrum“ liegt der Fokus des Projektes auf Ausreise, Inhaftierung von geflüchteten Menschen und „effizienterer“ Abschiebung. Die Haftanstalt soll u. a. für Menschen im sog. Ausreisegewahrsam (Abschiebehaft zum Vollzug der Abschiebung) genutzt werden. Weiterhin sollen auch sog. Zurückweisungsfälle (Menschen, denen die Einreise gar nicht erst erlaubt wird) und asylsuchende Menschen im Flughafenasylverfahren bzw. künftig Grenzverfahren festgehalten werden.

Im „Transit- und Gewahrsamsgebäude“ des Abschiebezentrums sind laut aktuellem Planungsstand bis zu 156 Plätze vorgesehen (vgl. Begründung, S. 46). Damit böte das neue Abschiebezentrum über viermal so viele Plätze wie die bisherige Ausreisegewahrsamseinrichtung am Flughafen Schönefeld (35 Plätze, vgl. Begründung, S. 37). Das sind zudem mehr Plätze als vom ehemaligen Brandenburger Innenminister Stübgen noch im Dezember 2022 angekündigt.

2) Millionen Steuergelder an einen vorbestraften Investor

Neben der menschenrechtlichen Bedenken gibt es viele finanzielle Ungereimtheiten, die im Rahmen der investigativen Recherchen von Frag den Staat in Kooperation mit weiteren Medien im August 2022 und erneut im Juli 2024 aufgedeckt wurden (siehe auch hier). Gebaut werden soll das millionenschwere Projekt von einem wegen eines Bestechungsskandals mit Schmiergeld in Millionenhöhe vorbestraften Investor. Die Vergabe des Projekts an Jürgen B. Harder ohne öffentliche Ausschreibung wurde stets mit dessen Alleinstellungsmerkmal hinsichtlich der Grundstücke für das Abschiebezentrum begründet. Allerdings beruft sich das Land Brandenburg auf ein veraltetes Rechtsgutachten, welches nicht den aktuellen Planungsstand für das Abschiebezentrum widerspiegelt. Laut Julian Brummer von der Organisation Transparency International (zitiert in der Recherche von Frag Den Staat) hätte nach der Entscheidung um eine Erweiterung der Flächen für das Abschiebezentrum das Fehlen einer öffentlichen Ausschreibung überprüft werden müssen, da weitere Grundeigentümer:innen neben Harder in Betracht gekommen wären. Selbst der Bund hat vergaberechtliche Bedenken geäußert und sich teilweise aus dem Projekt zurückgezogen. Die Bundespolizei bezeichnete den Vertrag mit dem Investor als Knebelungsvertrag“ . Zudem zeigen die Recherchen aus dem Jahr 2022, dass die Behörden fest mit diesem Investor planten, unabhängig von seinem Grundstückseigentum.

Im Brandenburger Landeshaushalt sind laut Innenministerium langfristig 315 Millionen Euro Verpflichtungsermächtigungen für Mieten und Pacht für den gesamten Mietzeitraum von 25 Jahren für das Ein- und Ausreisezentrum vorgesehen. Stattdessen fordern wir, öffentliche Mittel dort einzusetzen, wo sie dem gesellschaftlichen Zusammenhalt und der sozialen Gerechtigkeit dienen: für die Stärkung der Teilhabe geflüchteter Menschen, den sozialen Wohnungsbau, die Bekämpfung von Armut und sozialer Ungleichheit sowie für Programme zur Demokratieförderung. Eine zukunftsorientierte Politik muss in das Gemeinwohl investieren – nicht in Ausgrenzung und Abschottung!

3) Ausreisegewahrsam als Freiheitsentzug 

Im Ausreisegewahrsam sind zwischen 54 und 60 Plätze vorgesehen (vgl. Begründung, S. 46, 51). Ausreisegewahrsam stellt laut Deutschem Anwaltverein einen Freiheitsentzug zum Zwecke der Abschiebung dar. Die Vereinbarkeit von Ausreisegewahrsam mit der EU-Rückführungsrichtlinie ist umstritten, u. a. weil § 62b AufenthG die Inhaftierung ohne Prüfung einzelner Haftgründe ermöglicht und weil keine Prüfung vorgesehen ist, ob die Inhaftierung im Einzelfall verhältnismäßig ist bzw. der Zweck der Maßnahme auch durch andere Mittel erreicht werden könnte. Inzwischen wurde die Dauer des Ausreisegewahrsams von ursprünglich nur vier Tagen (bei Einführung im Jahr 2015), auf 10 und im letzten Jahr auf 28 Tage erweitert. Betroffene werden zum Zwecke ihrer Abschiebung bis zu 28 Tage inhaftiert. 

Die Inhaftierung kann sich stark negativ auf die psychische und physische Gesundheit der Betroffenen auswirken. In der Praxis kommt es mit großer Regelmäßigkeit zu schweren Verfahrensfehlern: So hat sich nach Statistiken des Rechtsanwalts Peter Fahlbusch aus Hannover jede zweite richterlich verfügte Abschiebungshaft bei der anwaltlich veranlassten Überprüfung als rechtswidrig erwiesen. Auch vor dem Hintergrund dieser Fehlerquote ist jegliche Form der Abschiebungshaft kritisch zu sehen und der Bau einer neuen Haftanstalt am Flughafen abzulehnen. Abschiebehaft darf laut Europarecht immer nur ultima ratio sein, wenn der Zweck der Haft nicht durch ein milderes Mittel erreicht werden kann. Mehr Haftkapazitäten führen erwiesenermaßen nicht zu mehr Abschiebungen. Der Ausbau der Gewahrsamskapazitäten am BER lässt jedoch befürchten, dass Brandenburg künftig systematisch davon Gebrauch machen will.

4) Drastischer Ausbau von rechtlich fragwürdigen Flughafenasyl- / Grenzverfahren

Am BER ist auch eine massive Steigerung der Flughafenasyl- bzw. zukünftigen Grenzverfahren im Rahmen der Umsetzung der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) geplant. Im Flughafenverfahren wird unter extrem hohem Zeitdruck entschieden, ob der Antrag nach nur zwei Tagen als „offensichtlich unbegründet“ direkt am Flughafen abgelehnt und die Einreise verweigert wird, oder ob die Person einreisen und ein reguläres Asylverfahren durchlaufen darf. Diese Prüfung geschieht unter Haftbedingungen im Transitgelände des Flughafens. Dabei gelten im Vergleich mit dem regulären Asylverfahren extrem kurze Fristen und eingeschränkter Rechtsschutz. Personen, die als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt werden, sitzen häufig wochen- bis monatelang in der an das Flughafenasylverfahren anschließenden Zurückweisungshaft fest. Im Flughafenverfahren werden regelmäßig auch Familien mit Kindern inhaftiert. Darüber hinaus bestehen EU-rechtlich grundsätzliche Zweifel an der Zulässigkeit der Inhaftierung von Schutzsuchenden im Flughafenverfahren (siehe EuGH-Urteil vom 30. Juni 2022, Rechtssache C-72/22 PPU, Verfahren M.A.).

Das Flughafenverfahren ist alles andere als rechtsstaatlich und fair. Dennoch wird dieses im Rahmen der GEAS-Reform auf alle deutschen Außengrenzen, d. h. Flughäfen wie dem BER, übertragen und ausgebaut. Das zukünftige Grenzverfahren, welches bis Juni 2026 umgesetzt werden muss, wird zu mehr und längeren Inhaftierungen führen durch eine Ausweitung der Fälle, die in das Verfahren fallen und einer Ausweitung der Verfahrensdauer auf bis zu 12 Wochen. Aus der Zivilgesellschaft wird kritisiert, dass die Bundesregierung damit deutlich mehr Fälle für das Grenzverfahren vorsieht, als aus EU-Recht vorgegeben wird. Es müssten also nicht so viele Menschen im Grenzverfahren und am BER inhaftiert werden – Deutschland hätte hier Handlungsspielräume, weniger restriktiv vorzugehen. 

Für den Flughafen BER sind laut aktuellem Planungsstand 64 bis zu 96 Haftplätze für das Flughafenasylverfahren bzw. Grenzverfahren vorgesehen (vgl. Begründung, S. 46, 52). Im Jahr 2024 wurden 64 Flughafenverfahren am BER durchgeführt. Die geplanten Kapazitäten würden eine massive Steigerung bedeuten. Sie übersteigen auch die vom Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) vorgestellten Standort- und Kapazitätsvorschläge von ca. 40 Plätzen für das Außengrenzverfahren am BER (vgl. SchreibenInformationen zur Umsetzung der GEAS-Reform hinsichtlich Screeningverfahren und Asylgrenzverfahren“ vom 26.09.2024).

Bereits heute kann aufgrund der strukturellen Probleme in der Ausreisesammelstelle am Flughafen BER nicht von fairen und rechtsstaatlichen Verfahren die Rede sein. Menschen im Flughafenasylverfahren haben entgegen der gesetzlichen Vorschrift dort keinen Zugang zu einer unabhängigen Asylverfahrensberatung. Auch der Zugang für anwaltliche Vertretung für Menschen in Ausreisegewahrsam ist nur schwer möglich.  Es sind keine Sozialarbeiter:innen und Dolmetscher*innen vor Ort tätig. Der Zugang zu medizinischer Versorgung ist eingeschränkt. Zivilgesellschaftliche Organisationen fordern bereits seit langem eine unabhängige Asylverfahrensberatung sowie den Einsatz von Sozialarbeitenden vor Ort, um rechtsstaatliche Verfahren zu gewährleisten (vgl. taz Artikel aus August 2024)

5) Breite Zivilgesellschaft für Teilhabe und gegen Inhaftierung und Abschiebungen

Zivilgesellschaft und Geflüchtetenorganisationen haben starke menschenrechtliche und humanitäre Bedenken und fordern seit Jahren einen Stopp des Projektes. Bereits im November 2022 haben mehr als 80 Organisationen das Land Brandenburg und die Bundesregierung aufgefordert, auf den Bau des Abschiebegefängnisses zu verzichten. Im Juni 2023 versammelten sich rund 2.000 Menschen bei einem von der Initiative „Abschiebezentrum BER verhindern“ organisierten Protestcamp, um gegen das Abschiebezentrum zu demonstrieren.  

Aufgrund der massiven Ausweitung des Freiheitsentzugs und der Zunahme von Asylverfahren unter Haftbedingungen sowie einem geplanten Anstieg von Abschiebungen wenden wir uns gegen das geplante Abschiebezentrum. Asylverfahren unter Haftbedingungen gehen zu Lasten von Fairness und Rechtsstaatlichkeit. Der Ruf nach „konsequenteren“ und „effizienteren“ Abschiebungen führt regelmäßig dazu, dass geflüchtete Menschen abgeschoben werden, obwohl sie seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, hier leben und arbeiten oder schwer krank sind. In Brandenburg und bundesweit sollten stattdessen die Förderung von Teilhabe von geflüchteten Menschen sowie das Ausschöpfen von Bleiberechtsmöglichkeiten im Zentrum stehen.


Diese Stellungnahme wurde initiiert von Wir packen’s an e. V. und der Initiative „Abschiebezentrum BER verhindern“. 

Erstunterzeichnende:

Berliner Netzwerk für besonders schutzbedürftige geflüchtete Menschen

Flüchtlingsrat Brandenburg 

Flüchtlingsrat Berlin 

Initiative Abschiebezentrum BER verhindern 

PRO ASYL e.V.

Wir packen’s an e.V.


Posted