Hintergrundinformationen zum geplanten Abschiebezentrum (Stand 04/24)

Diese Hintergrundinformationen wurden von der Initiative „Abschiebezentrum BER verhindern“ im Mai 2023 zusammengetragen und im April 2024 aktualisiert (Änderungen sind markiert). Als Quellen dienten Medienberichte, insb. die im Rahmen der Recherche von Frag den Staat, ARD Kontraste und RBB veröffentlichten Behördenkorrespondenzen zu dem geplanten Projekt (s. Verlinkungen im Text). Dieses Dokument versteht sich als Zusammenfassung und nicht als politische Kommentierung. Viele der hier beschriebenen Umstände geben die Planungen der Behörden in der entsprechenden Fachsprache wieder und entsprechen nicht unserer politischen Auffassung. Diese Informationen haben keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Politischer Hintergrund und Link zur Bundesebene

2017: BER als Pilotprojekt für geplante Bundesausreisezentren

2017 hat das Bundesinnenministerium (BMI) den Ländern vorgeschlagen, die Zuständigkeit des Bundes bei Abschiebungen zu verstärken, u.a. durch Bundesausreisezentren (Hafteinrichtungen) an zentralen Flughäfen, um Sammelabschiebungen zu erleichtern. Für diese Zentren wurde nie die gesetzliche Grundlage geschaffen. Das Land Brandenburg (BB) hatte 2017 Interesse an einem solchen Bundesausreisezentrum als Pilotprojekt.

2018/2019: Nachfolge für Abschiebehafteinrichtung in Eisenhüttenstadt

Das Land BB wurde u.a. mit Ministerpräsidentenkonferenz-Beschluss von Februar 2017 aufgefordert, eine eigene Abschiebungshafteinrichtung vorzuhalten. Die bisherige Einrichtung in Eisenhüttenstadt wurde offiziell aufgrund feuerpolizeilicher Mängel (laut Auffassung BMI wohl eine „politische Schließung“) geschlossen.

Das Ministerium für Inneres und Kultur (MIK) Brandenburg (damalige Staatssekretärin Lange, SPD, heute Finanzministerin) wollte in der Nähe des Flughafen Berlin-Brandenburg (BER) wieder eine Abschiebehafteinrichtung eröffnen. Um den Finanzminister von der Linken zu umgehen, wollte das Innenministerium die dafür notwendigen Gebäude nicht selbst errichten, sondern von einem Investor errichten lassen und dann anmieten (s. Punkt Investor). Die ersten Weichen für das Großprojekt wurden gestellt.

Neuer Plan ab 2020: „Ein- und Ausreisezentrum“ als europäisches Vorzeigeprojekt

Aufgrund der veränderten politischen Lage (nach Landtagswahlen in BB) ist die Einrichtung nicht mehr als Abschiebehafteinrichtung (im Sinne von § 62 Abs. 3 AufenthG  (Sicherungshaft) bzw. § 62 Abs. 2 AufenthG (Vorbereitungshaft)) geplant, sondern als „Behördenzentrum“, in dem u. a. Ausreisegewahrsamsfälle (§ 62b AufenthG) inhaftiert werden sollen. Das Land Brandenburg erklärt im März 2021 gegenüber dem kommunalen Entwicklungsausschuss der Gemeinde Schönefeld, es gehe um eine „europaweit einmalige Einrichtung […], die neue Maßstäbe für eine zügige, vernetzte Bearbeitung von Ein- und Ausreiseverfahren direkt am Hauptstadtflughafen setzt. Es handelt sich um ein Vorzeigeprojekt von internationaler Bedeutung und höchster Priorität auf Bundes- und Landesebene“.

Seehofers Erbe

Im Oktober 2021 wurde eine Grundsatzverständigung zwischen dem BMI (Seehofer, nach erfolgter Bundestagswahl noch kommissarisch im Amt) und dem MIK BB (Stübgen) unterzeichnet und festgehalten, dass das Land BB sich um den Bau kümmert und die Bundesbehörden sich einmieten werden. Selbst die Staatskanzlei Brandenburg erfuhr von dem Projekt erst aus der Presseerklärung des MIK.

Wie soll das Abschiebezentrum aussehen?

Wer soll inhaftiert werden?

  • Ausreisegewahrsam (Freiheitsentzug zum Vollzug der Abschiebung, max. 28 Tage, § 62b AufenthG. Vor 01/2024 10 Tage, Verlängerung im Rahmen des sog. „Rückführungsverbesserungsgesetzes“.)
  • Derzeit keine Abschiebehaft im Sinne der Sicherungshaft geplant (§ 62 Abs. 3 AufenthG Inhaftnahme zur Sicherung der Abschiebung bis zu 18 Monate, etwa bei vollziehbarer Ausreisepflicht aufgrund unerlaubter Einreise, bei einem Versuch, sich der Abschiebung zu entziehen, oder bei Verdacht auf Fluchtgefahr). Diese war jedoch 2018/19 angedacht und wäre bei Änderung politischer Verhältnisse denkbar.
  • Sog. Zurückweisungsfälle (Menschen, denen die Einreise am Flughafen gar nicht erst erlaubt wird (z.B. wegen fehlenden Visums o.ä.) und die kein Asyl beantragen (§ 15 Abs. 6 AufenthG)
  • Flughafenasylverfahren (Schnellverfahren nach § 18a AsylG)
  • womöglich weitere Personengruppen, wie Aufgriffsfälle

Wie groß wird der Knast?

Laut Äußerungen von Innenminister Stübgen aus dem Dezember 2022 sind derzeit 48 Plätze für Ausreisegewahrsam und 60 Plätze für Transit (u.a. für Zurückweisung + Flughafenverfahren) vorgesehen, also insgesamt 108 Plätze.

Im Vergleich zu der derzeitigen „Ausreisesammelstelle“ am BER entspricht das einer Vergrößerung der Untebringungskapazität um 350%. Die bisher genutzte Einrichtung in Schönefeld hat 32 Plätze (Belegbarkeit 24 Personen), die u.a. für Ausreisegewahrsam (ZABH), sog. Aufgriffs- und Zurückweisungsfälle (BPOL), Flughafenasylfälle (BAMF, BPOL) sowie als Sammelpunkt für Sammelabschiebungen genutzt werden.

Gebäudeaufteilung

Das Abschiebezentrum soll aus separaten und funktional getrennten Gebäuden bestehen. Dabei handelt es sich um:

  • ein Funktionsgebäude samt Ankunftszentrum für die Aufnahme von Dublin-Abschiebungen aus anderen EU-Staaten, Kontingentflüchtlingen sowie Asylsuchenden, die über den BER einreisen; Nutzung durch die ZABH, das BAMF und verschiedene andere Behörden (u.a. Staatsanwaltschaft, Verwaltungs- und Amtsgericht), einschließlich Räumlichkeiten für Kantine, Wachschutz, Wäscherei und weitere Funktionen der Infrastruktur
  • ein Gewahrsamsgebäude für Menschen im Ausreisegewahrsam
  • ein Transitgebäude für Aufgriffs- und Zurückweisungsfälle sowie Menschen im Flughafenasylverfahren

Das ursprünglich als Teil des Behördenzentrums geplante Rückführungsgebäude wird wahrscheinlich als eigenständiges Projekt gebaut. Wir wissen noch nicht, welcher Standort dafür vorgesehen ist. Das Rückführungsgebäude soll die parallele Abfertigung von zwei Sammelabschiebungen mit jeweils bis zu 100 Menschen (mind. 1 x pro Woche) sowie Einzelabschiebungen erlauben. Es soll mit 45 Beamt*innen 24/7 durch die Bundespolizei betrieben werden.

Welche Behörden sind wie beteiligt?

Die Rolle des BAMF im Abschiebezentrum

Das BAMF ist zuständig für:

  • Bearbeitung von Flughafenasylverfahren nach 18a AsylG
  • Betreuung von Rückführungsmaßnahmen
  • Bearbeitung von Asylverfahren von auf dem Luftweg Einreisenden (Nicht 18a AsylG): dort sollen Aktenanlage, Anhörung und Entscheidung stattfinden (inkl. Identifikation und Herkunftslandprüfung) noch bevor Personen an Erstaufnahmeeinrichtungen zugewiesen werden, laut BAMF damit Schutzsuchende sich nicht in der Unterkunft mit anderen Betroffenen über „asyltaktische“ Gründe austauschen können,
  • Zentralisierte Bearbeitungs- und Kompetenzstelle für alle Folgeanträge in BB und Bearbeitung sonstiger Asylanträge
  • Rückkehrberatung
  • Dependance Regionalstelle Frankfurt Oder (Integration)

Im Abschiebeprozess soll das BAMF eine möglichst schnelle Bearbeitung von Asylfolgeanträgen gewährleisten, damit geplante Abschiebungstermine nicht verpasst werden und Ausreisegewahrsam aufrechterhalten werden kann. Außerdem soll die Landesasylstelle BB Sammel- und Einzelabschiebungen des Landes BB, bundesunterstützte Maßnahmen mehrerer Bundesländer sowie Maßnahmen von Frontex unterstützen. Hierfür soll die Landesasylstelle Monitoring, Bearbeitung von Folgeanträgen, Qualitätssicherung und die Betreuung von Eilanträgen übernehmen. Das BAMF rechnet mit bis zu 350 Flughafenverfahren / Jahr, u.a. aufgrund eines erwarteten höheren Flugaufkommens (v.a. aus Asien) und der erwarteten Einstufung weiterer Länder als „sichere“ Herkunftsländer (u.a. Georgien).

Die Rolle der Bundespolizei und des Rückführungsgebäudes

Die Nutzung des Rückführungsgebäude soll ausschließlich durch die Bundespolizei erfolgen – mit vorwiegender Funktion der „Abfertigung von Ausreisen“. Das Gebäude soll dafür direkt durch den Bund angemietet werden.

Die Bundespolizei nutzt seit Anfang 2023 die alte Ryanair Ankunftshalle am Terminal 5 für Sammelabschiebungen. Die Miete wurde immer wieder verlängert, aber eigentlich sollte die Bundespolizei spätestens Ende 2023 in ein eigenes Gebäude umgezogen sein. Für die Behörde gibt es daher akuten Zeitdruck.

Weitere Akteure

Der Bund ist gemeinsam mit BMI, Bundespolizei (BPOL) und BAMF am Bau des Abschiebezentrums und des Rückführungsgebäudes beteiligt. Er soll alleiniger Mieter des Rückführungsgebäudes werden. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (also der Bund) hat einen Beschaffungsauftrag vom BMI erhalten.

Das Land BB ist Bauherr und ist mit dem Innenministerium (MIK) (Minister Stübgen, CDU), dem Ministerium der Finanzen und für Europa (Ministerin Lange, SPD, früher Innenstaatssekretärin und damals Befürworterin des Abschiebezentrums), dem Justizministerium BB, der ZABH, der Landespolizei sowie den Justizorganen des Landes (Verwaltungsgericht Potsdam, Amtsgericht Königs Wusterhausen, Staatsanwaltschaft Potsdam) am Projekt beteiligt.

Der Landkreis Dahme-Spreewald soll vermutlich auch Mieter des Abschiebezentrums werden. Auf kommunaler Ebene sind außerdem das Bauordnungsamt Dahme Spreewald (erteilt Baugenehmigung) und die Gemeinde Schönefeld (Bauleitplanung, hier läuft das Bebauungsplanverfahren) beteiligt.

Kosten und Korruptionsvorwürfe

Welche Kosten entstehen?

  • Geplanter Mietvertrag über 25 Jahre
  • Jahresbruttomiete von 8,38 MIO € (Stübgen 11/23) für das „Behördenzentrum“ + vermutlich weitere 6,6 MIO € für das „Rückführungsgebäude“ (Stand Letter of Intent 10/21 – dieser wurde jedoch nie unterzeichnet)
  • Laut Medienberichten von August 2022 könnte der Investor mit dem Bau beider Gebäudekomplexe (Behördenzentrum + Rückführungsgebäude) bis zu 315 MIO € Gewinn machen.

Durch die Anmietung des Rückführungsgebäudes durch den Bund, tauchen diese Kosten nicht mehr im Haushalt des Land Brandenburgs auf. Die Landesregierung bezweckt damit, die starke Kritik an dem gesamten Projekt abzufedern, wie aus behördeninternen Korrespondenzen hervorgeht.

Kritik am Vergabeverfahren und Korruptionsvorwürfe gegen den Investor

Bei dem Investor handelt es sich um Jürgen B. Harder, der am BER bereits einen Hangar gebaut hat. Im Zusammenhang mit einem Schmiergeldskandal beim Ausbau des Frankfurter Flughafens war Harder 2015 vom Landgericht Frankfurt/Main zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden. In den folgenden Jahren war er in einen Medizinskandal an der Uni Heidelberg verwickelt, der Vorwurf ist Insiderhandel mit einem Startup, das einen unbrauchbaren Bluttest zur Erkennung von Brustkrebs vertrieben hat.

Warum plante das Land Brandenburg überhaupt die Realisierung des Abschiebezentrums mit einem Investor? Der Verdacht liegt nahe, dass der damalige Finanzminister der Linken (Görke) durch das SPD-Innenministerium übergangen werden sollte (s.o. „Nachfolge Abschiebehafteinrichtung Eisenhüttenstadt“). In einer internen Kommunikation des BMI (01/19) heißt es hierzu: „Da der Finanzminister von der Linken gestellt wird, will der Innenminister kein eigenes Gebäude errichten, sondern von einem Investor errichten lassen und dann anmieten“. Bei dem Bau durch einen externen Investor tauchen die Kosten im Landeshaushalt erst mit der ersten Mietzahlung bei Fertigstellung des Baus auf. Hätte das Land eigenständig gebaut, hätten der Landesfinanzminister bereits 2018 miteinbezogen werden müssen.

Doch warum wurde Harder als Investor an Bord geholt? Anfang Mai 2022 erklärte Stübgen vor dem brandenburgischen Innenausschuss seit 2018 mit Harder in Gesprächen zu sein, da dieser die einzigen noch bebaubaren Grundstücke am Flughafen besitze. 2017, bei Start der Planungen, gehörten Harder allerdings nur zwei kleine Grundstücke nördlich des vorgesehenen Baugeländes, wo ursprünglich ein deutlich kleineres Ausreisezentrum vorgesehen war. Die Entscheidung, den Standort des Abschiebezentrums zu verändern und mit einem größeren Areal zu planen, soll angeblich erst 2020 gefallen sein. Doch Harder steht seit 2018 in Verhandlung mit den Eigentümern und hat seit 2019 eine Kaufoption für die südlichen Grundstücke im relevanten Areal. Der Verdacht liegt nahe, dass Harder unter der Hand von diesem zweiten, größeren Bauprojekt erfahren hat. (Siehe zwielichtige Verbindung zwischen dem ehemaligen Schönefelder Bürgermeister Haase und dem Investor Harder)

Timeline (Stand 04/24)

Was ist passiert?

  • 2017: Erste Vorstöße für BB als Pilotprojekt der „Bundesausreisezentren“
  • 2020: Umwandlung, Fokus auf „Ein- und Ausreisezentrum“
  • 2021: Grundsatzverständigung zwischen BMI + MIK BB
  • 08/21: Aufstellungsbeschluss Bebauungsplan für Teilbereich A (=Abschiebezentrum) durch Gemeindevertretung Schönefeld
  • 12/22: Verpflichtungsermächtigung Landtag BB über Haushaltsmittel für zukünftige Mieten + Pachten
  • 08/23: Unterzeichnung des Mietvertrags zwischen Investor Harder und Land BB
  • 09/23: Abschluss Wirtschaftlichkeitsprüfung
  • 11/23: Freigabe der Haushaltsmittel durch das Finanzministerium BB, 1.100.000 € für 2023/24

Was steht aus?

  • Abschluss Bebauungs-Plan Verfahren für „Behördenzentrum“ der Gemeinde Schönefeld: vermutlich Satzungsbeschluss (mit vorheriger erneuter Öffentlichkeitsbeteiligung, u.a. Offenlage) als finaler Schritt für anschließende Erteilung von Baugenehmigung durch das Bauordnungsamt Dahme Spreewald): aktuell sind keine Termine bekannt
  • Standortsuche für Rückführungsgebäude, inkl. Investorensuche und Beantragung Baugenehmigung
  • Erteilung Baugenehmigung und Baubeginn für Behördenzentrum: ursprünglicher Plan war 2023 (Stübgen, 22.12.22 im rbb)
  • Fertigstellung Zentrum: 2026 (Stübgen, 22.12.22 im rbb), 2025 (BMI, Die Welt, 28.01.23)

Es ist noch nicht zu spät, den Bau des Abschiebezentrums zu verhindern. Die Initiative „Abschiebezentrum BER verhindern“ leistet Widerstand, solange bis kein Abschiebeflug mehr startet.

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(Beim Drucken als Broschüre: Doppelseitig, an kurzer Seite gespiegelt)


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