Von „humanitären Abschiebungen“ und „Koalitionstreue“: der Landtag Brandenburg debattierte am 17.11. den Bau des Abschiebezentrums am Flughafen BER

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Am Donnerstag, den 17.11. fand die 76. Sitzung des brandenburgischen Landtags statt. Auf der Agenda: ein Antrag der Fraktion Die Linke, den Bau des Abschiebezentrums am BER zu stoppen. Wir haben uns diese teils schwer verdauliche Debatte angeschaut: Wie begründen die verschiedenen Parteien ihre Positionen zu dem rassistischen Projekt?

SPD:
Die SPD hat sich in der Öffentlichkeit bisher bedeckt gehalten, was das Abschiebezentrum angeht. Und das hat einen guten Grund: Als größte Regierungsfraktion in Brandenburg hat die SPD maßgeblich zu verantworten, dass es dieses Projekt überhaupt gibt. Bereits in der vergangenen Wahlperiode war das Abschiebezentrum ein Herzensprojekt der damaligen Staatssekretärin und heutigen Finanzministerin Katrin Lange (SPD).

Das Statement der innenpolitischen Sprecherin der SPD, Inka Gossmann-Reetz, ließ in der Debatte dann auch keine Zweifel: Die SPD steht voll und ganz hinter dem geplanten Abschiebezentrum. Zwar seien „Flughafenasylverfahren und Abschiebungen für alle Beteiligten eine Belastung“ – eine massive Verharmlosung, denn während Geflüchtete aus ihrem Leben in Deutschland gerissen werden, bringen andere „Beteiligte“ einfach nur einen „normalen“ Arbeitstag hinter sich. Im Abschiebezentrum, so Gossmann-Reetz, sollten Verfahren jedoch unter „bestmöglichen Bedingungen“ stattfinden. Damit ist klar, dass die SPD nichts mehr als eine „schöner Abschieben-Partei“ ist. Allein die Jusos Brandenburg haben sich gegen das Abschiebezentrum ausgesprochen.

CDU:
Dass die CDU, in deren Hand das Innenministerium liegt, das Abschiebezentrum unbedingt durchsetzen will, ist bekannt. Überrascht waren wir vor allem davon, mit welchen Plattitüden und Klischees Björn Lakenmacher (CDU) bei der Debatte um sich werfen musste, um die eigene Position zu legitimieren und Kritik abzuwerten: Er beklagte die „Emotionalität“ und „Ideologie“ der Kritiker*innen, um sich wortwörtlich selbst als Meister der „Sachlichkeit“ und „Objektivität“ zu inszenieren. Um dann einfach die Beschreibung des Projekts Abschiebezentrum aus der Feder des Innenministeriums wiederzugeben – ideologisch sind immer nur die anderen. Das Ganze noch mit der inhaltsleeren Floskel des „handlungsfähigen Rechtsstaats“ garniert, fertig ist der CDU-Sprech. Man müsse, so Lakenmacher, die „Vorteile und Verbesserungen“ durch das Projekt sehen: das Abschiebezentrum solle ja „bessere Bedingungen für Einreisende“ und „kürzere Wege“ für alle Beteiligten mit sich bringen. Humanitär abschieben, das geht – da sind CDU und SPD offensichtlich ganz einer Meinung.

Das Durchdrücken eines intransparenten Deals mit einem korrupten Investor, um möglichst viele demokratische Wege zu umgehen – das hat natürlich rein gar nichts mit (rassistischer) Ideologie zu tun..

Freie Wähler:
Die Freien Wähler haben sich als einzige Fraktion während der Abstimmung über den Antrag von Die Linke enthalten und ihn nicht abgelehnt. Ihre Zweifel an dem Projekt beziehen sich allerdings hauptsächlich auf die finanziellen Kosten und die Intransparenz der Planungen, weshalb sie im letzten Innenausschuss auch einen qualifizierten Sperrvermerk für den Posten gefordert hatten (dann müsste der Landtag sich nochmal mit den Finanzen beschäftigen). Die vermeintliche Notwendigkeit des Projekts stellen sie nicht in Frage: Rassistische Abschiebepolitik ist grundsätzlich ok, nur soll es möglichst wenig kosten. Viel erwarten kann man von diesem Akteur also nicht. Mit ihrer Kritik an Bündnis 90/die Grünen scheinen sie aber nicht ganz daneben zu liegen: die Grünen sollten, so Matthias Stefke (BVB/FW), aufhören, gegenüber ihren Anhängern den Eindruck zu erwecken, dass sie sich dem Projekt entgegenstellen, wenn sie in der Realität nichts davon umsetzen.

Bündnis 90/die Grünen:
Kommen wir nun zu der Partei, die zwar öffentlich immer wieder ihre Ablehnung des Projekts äußert, sich bei Abstimmungen jedoch an die Seite ihrer Koalitionspartner CDU und SPD und hinter das Abschiebezentrum stellt. Die innenpolitische Sprecherin von Bündnis 90/die Grünen Marie Schäffer gab an, ihre Partei habe das Projekt von Anfang an kritisch gesehen, und man sehe weiterhin „viele offene Fragen“. Sie konzentrierte sich vor allem auf vergaberechtliche Fragen und überdimensionierte Kapazitäten, mit einem Hinweis auf die asylpolitischen Bedenken von Geflüchtetenorganisationen, Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und sog. Willkommeninitiativen. Erneut forderte Schäffer einen qualifizierten Sperrvermerk für den Haushaltsplan, damit der Landtag die Gelder freigeben muss (einen entsprechenden Antrag der Freien Wähler hatten sie im Innenausschuss am 10.11. jedoch abgelehnt). Diese Forderung war von der CDU bereits letzte Woche öffentlich zurückgewiesen worden.

Diese Forderungen kommen viel zu spät. Wie Andrea Johlige (Linke) richtigerweise anmerkte, haben die Grünen durch ihre Zustimmung zum Projekt im Koalitionsausschuss im November 2021 und zuletzt nochmal vor wenigen Wochen das Abschiebezentrum selbst zu einer Koalitionsfrage gemacht. Die Grünen „werben“ nach Schäffers eigenen Angaben bei den Koalitionspartnern für ihre Position. Aktuell scheint die Koalitionstreue jedoch schwerer zu wiegen als die Zweifel an dem rassistischen Projekt. Und so flüsterten alle Abgeordneten der Grünen bei der namentlichen Abstimmung kaum hörbar ihre Ablehnung zum Antrag, den Bau des Abschiebezentrums zu stoppen.

Bei der Landesdelegiertenkonferenz der Grünen am 19.11. hat die Partei einem gemeinsamen Antrag der Landesarbeitsgemeinschaft Demokratie, Recht und Antifaschismus und der Grünen Jugend zugestimmt. Darin heißt es „Wir fordern die Landtagsfraktion, den Landesvorstand und die bündnisgrünen Minister*innen auf, alle ihnen zur Verfügung stehenden parlamentarischen und politischen Mittel zu nutzen, um sich für den sofortigen Stopp der Pläne einzusetzen und die eingeplanten Mittel im Haushaltsentwurf zu streichen.“ In ihrer Vagheit bleibt der Antrag zahnlos – aber die Grünen können uns natürlich gerne eines besseren belehren.

Innenminister Stübgen (CDU) versuchte in seiner Rede ebenfalls, dem Abschiebezentrum einen humanitären Anstrich zu verpassen („kurze Wege“!) und betonte, dass mit dem Flughafen BER eine „Schengen-Außengrenze mitten in Brandenburg“ liege.

Insgesamt wurden abgesehen von der Rede von Andrea Johlige (Linke) also wenig sinnvolle Äußerungen getätigt. Einer der wichtigsten Beiträge kam von Aktivist*innen, die während der Sitzung ein Banner von der Empore herunterließen und „Kein Abschiebezentrum! Schon mal was von Menschenrechten gehört? Schämt euch!“ durch den Plenarsaal riefen.

Auch nach der Abstimmung (Ergebnis: Freie Wähler: Enthaltung, Linke: Zustimmung, Koalition: Ablehnung) ist der Kampf gegen das Abschiebezentrum nicht verloren. Die endgültige Entscheidung des Landtags über den Haushalt und damit über das Abschiebezentrum ist für den 14.12. vorgesehen. Wir bleiben dabei: Mit uns wird es kein Abschiebezentrum geben. Stay tuned für unsere nächsten Schritte!

Die Redebeiträge der einzelnen Parteien können hier nachgehört werden.


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